Geschichte und Kultur

Meine Herren! Die Initiative zu diesem grossen Unternehmen der Nationen gehört Ihnen; sie gehört dem helvetischen Vaterland als lebendigem Symbol dreier grosser Zivilisationen.

(Carlo Battaglini an die Bundesversammlung 1863 – Text von Carlo Cattaneo)


Für die Pro Gottardo - Ferrovia d’Europa kann die Fertigstellung der Eisenbahntransversale mit ihren Öffnungen nach Norden und Süden, neben ihrer wirtschaftlichen und territorialen Bedeutung, nur ein Akt von großer kultureller und historischer Tragweite sein. Der Gotthard ist viel mehr als nur ein Bergmassiv. Seine symbolische Bedeutung für Europa, für die Schweiz und für das Tessin ist im Laufe der Jahrhunderte gereift und nimmt nicht ab in einer Zeit, in der die geopolitischen Strukturen, die Formen der Mobilität und der Kommunikation in Europa neu definiert werden, aber auch in einer Zeit, in der sich die Gemeinschaften, insbesondere im Alpengebiet, neu definieren und sich eine neue Identität geben müssen.

Der Gotthard ist, wie die Befürworter des grossen Anfangsprojekts bereits ahnten, allen voran Carlo Cattaneo, in seiner philosophischen Genialität und dank seiner ingenieurtechnischen und wirtschaftlichen Intelligenz, ein privilegierter Ort des Übergangs und der Vermittlung zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeerraum, eine kulturelle und zivilisatorische Grenzzone ebenso wie ein unverzichtbarer Güterweg und Wirtschaftsmotor.

Vielleicht hatte das Tessin Mühe, sich der wichtigen Rolle bewusst zu werden, die es in dieser europäischen Dynamik zwischen Nord und Süd spielen könnte. Vielleicht hat in der jüngeren Geschichte die Enttäuschung über die grossen Erwartungen, die durch die Öffnung des Gotthards Ende des 19. Jahrhunderts geweckt wurden und die im traurigen Schicksal der Belle Epoque und in den Dramen des Ersten Weltkriegs weitgehend begraben wurden, jene Bestrebungen in den Hintergrund gedrängt, denen es wahrlich nicht an politischer und kultureller Legitimation gefehlt hätte. Vielleicht hat sich im Tessin zu oft die Angst durchgesetzt, zu einer Art Korridor im Dienste der grossen Zentren im Norden und Süden zu werden. Die unmittelbaren Interessen und ein leicht zu erreichender Wohlstand waren meistens wichtiger als eine umfassendere und anspruchsvollere Vision, obzwar dieser nicht an Verankerung in der geopolitischen Lage und der kulturellen Tradition des Kantons gefehlt hätte.

Aber das Tessin befindet sich wieder einmal in einer Zeit der Neudefinition, auf der Suche nach einer neuen Identität und neuen Beziehungen mit dem Süden und dem Norden, und damit vor einer Chance, die nicht verpasst werden sollte, trotz einer nicht einfachen politischen Situation auf allen Ebenen, kantonal, national, europäisch. Aber es gibt auch genügend Gründe, optimistisch zu sein. Sich selbst einen neuen Horizont und neue Perspektiven zu geben, kann eine Quelle neuer Energie und neuer Leidenschaften sein. Dazu ist aber Eines notwendig: Das Bewusstsein dafür, dass wir uns im gegenseitigen Austausch, auf unsere Beziehungen zum Norden und zu den südlichen Nachbarregionen stützen können und müssen, letzlich die Quellen der Kultur und der Zivilisation, die der Gotthard mit seinen Bedeutungen und seinen Wegen, nicht zuletzt mit der Bahn, darstellt.

Pro Gottardo - Ferrovia d'Europa ist mehr denn je entschlossen, die Sensibilität und das Bewusstsein für das historische und kulturelle Erbe zu fördern, das neben den wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten ein unverzichtbares Element darstellt, um dem Tessin den Weg zu einer neuen Identität in einem offenen und von gegenseitigem Austausch geprägten Kontext zu ebnen.

Wir hegen die Absicht, einen bescheidenen Beitrag mit Ideen und Koordinaten zu leisten, die es erlauben, sich auf einem Planeten zurechtzufinden, der unermesslich reich an Literatur, Studien und Materialien aller Art ist (in vorbereitung).